FREMD ZU HAUSE 

Ein Audiowalk über das Fremdsein, eine Spaziergangsgenerator generiert den Weg - funktioniert überall(2023)

Der Audiowalk eignet sich als Veranstaltung für Literaturhäuser und Theaterfestivals, Ortsmuseen und Kirchgemeinden, Schulen und Bibliotheken sowie lokale Kulturvereine.

Die Spazierenden versammeln sich mit eigenem Smartphone und Kopfhörern am Veranstaltungsort. Ich empfange sie und verteile bei Bedarf zusätzliche Geräte und Kopfhörer und führe kurz in das Projekt ein. Die Spazierenden machen den Audiowalk gemeinsam, geführt durch mich. Nach dem Spaziergang gibt es einen moderierten Austausch am Veranstaltungsort. Wann im Leben haben sich die Spazierenden fremd gefühlt? Hat der Audiowalk ihren Blick fürs Fremde im Vertrauten verändert?

Ich baue einen keinen Infostand auf. Die Spazierenden erhalten von mir Instruktionen und generieren einen individuellen Spaziergang in der Nähe. Wir verteilen bei Bedarf zusätzliche Geräte und Kopfhörer.

Bei Interesse gerne bei mir melden: 078 664 74 89, post@karinbucher.ch,

WEBSITE:

AUDIOWALK

Alle fühlen sich manchmal fremd. Und doch blenden wir das eigene Fremdsein oft aus, projizieren es auf andere. Was passiert, wenn wir die vertraute Umgebung einmal mit anderen Augen sehen, mit anderen Ohren hören?

Der theatrale Spaziergang für eine Person dauert 75 Minuten und führt entlang von vier bis fünf Orten, die zur Grundausstattung jedes Dorfes gehören: ein Brunnen, eine Sitzbank oder ein Spielplatz. Eine App generiert den Spaziergang per Klick jedes Mal neu und lädt dazu ein, im eigenen Quartier neue Wege zu entdecken. Eine Soundcollage mit literarischen Texten zum Fremdsein, die sich mit der Umgebung und den eigenen Fremdheitserfahrungen vermischen. 

Der Spaziergangsgenerator kreiert jedes Mal eine neue Route. Das Handy als Orientierungshilfe ist auch für Migrant:innen überlebenswichtig, wobei das Verirren zum Fremdsein dazugehört.

Die Erzählstimme schärft unsere Wahrnehmung: Wussten Sie, dass Sitzbänke erst mit dem Tourismus im 19. Jahrhundert aufkamen? Haben Sie sich schon einmal überlegt, dass das Spielgeräte eine Vorstellung vom «richtigen Spiel» beinhalten? Inwiefern demonstriert die Architektur von Gemeindegebäuden und Gotteshäusern Macht? Und wie lange noch wird aus jedem Brunnen Wasser fliessen?

Der Schriftsteller Usama Al Shahmani erzählt auf dem Weg zur Sitzbank, wie befremdet er anfangs war ob der Schweizer Leidenschaft für das Wandern – und wie er selber zum passionierten Wanderer wurde. Auf dem Spielplatz erinnert sich Samira El-Maawi, welche mulmigen Gefühle das Spiel «Wer hat Angst vor dem schwarzen Mann» bei ihr als Kind auslöste. Beim Brunnen berichtet Asa S. Hendry von subtilen Mechanismen des Ausschlusses in einem Bündner Bergdorf. Bei der Kirche erzählt Angelika Overath von Kathedralen und Moscheen, die ihr auf Reisen Schutz bieten. Und Melinda Nadj Abonji beschreibt, wie wichtig das Fremdsein für ihre Literatur ist: Eine Einladung, die Sprache von der Last des Vertrauten zu befreien.

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AUFTRAGGEBER:

Buch und Literatur Ost+

DANK AN:

Prof. Stefan Keller Ostschweizer Fachhochschule,Swiss Open Street Map Association, Openroute Service, Open Street Map contributers,Ernst Göhner Stiftung,Stiftung für Radio und Kultur Schweiz,Sonohr Radio & Podcast Festival

 

 




KONZEPT & TEXT:

Christina Caprez

KONZEPT & HANDLUNGSANWEISUNGEN:

Karin Bucher

GRAFIK & PROGRAMMIERUNG:

Jane Schindler

TON & MUSIK:

Martin Bezzola 

LITERATUR:

Usama Al Shahmani, Samira El-Maawi, Asa S. Hendry, Melinda Nadj Abonji, Angelika Overath

FREMDE STIMMER IM OHR

Von Mark Riklin, Appenzeller Zeitung 03.06.2024

«Was passiert, wenn wir die vertraute Umgebung mit anderen Augen sehen, mit anderen Ohren hören?», fragt der interaktive, literarische Audiowalk «Fremd Zuhause». Ein Selbstversuch in 3 Sätzen.

SPEICHER – Ein Dienstagmorgen Ende Mai, kurz nach halb zehn Uhr. Die Sonne scheint, leichter Nieselregen sprüht auf meinen Kopf. Ideale Bedingungen, um einzelne Stationen des Audiowalks «Fremd Zuhause» von Christina Caprez (Text) und Karin Bucher (Raum) zu testen. «Was passiert, wenn wir die vertraute Umgebung mit anderen Augen sehen, mit anderen Ohren hören?», heisst es in der Gebrauchsanleitung. Und dabei im eigenen Dorf Ecken und Nischen entdecken, die einem bisher verborgen blieben? Eine Einladung, die ich gerne annehme.

Schweizermacher

Andante. Mein Selbstversuch beginnt auf dem Bahnsteig Speicher. Hier verbinde ich die Kopfhörer mit meinem Handy, drücke die Play-Taste und laufe in gemächlichem Tempo Richtung Gemeindehaus. Als «Fremder», der das eigene Dorf neu erleben will. Begleitet werde ich von literarischen Stimmen, die in meinem Ohr sitzen, als erstes von der ungarischen Schriftstellerin Melinda Nadj Abonji: «Es war ein verregneter Tag, an dem wir unseren Eltern Glück wünschten. Und waren nicht überrascht, dass sie schweigend nach Hause kamen. Nicht geschafft, sagte Mutter, wir müssen noch mal hin.» Die Schweizermacher lassen grüssen.

Einwohnerdienste

Inzwischen stehe ich vor dem Gemeindehaus und werde aufgefordert, mir das Gebäude ganz genau anzusehen, mir vorzustellen, ich sei neu hier, dies mein erster Kontakt mit dem Schweizer Staat. «Wie begrüsst dich das Amt? Heisst es dich willkommen? Kannst du dich irgendwo hinsetzen?» Ich laufe ein paar Treppenstufen hoch, vorbei am Grundbuch- und Erbschaftsamt. Die Tür zum Büro «Einwohnerdienste» steht weit offen, direkt gegenüber ist ein kleiner Warteraum. Ich nehme Platz, fühle mich wie beim Arzt, einfach ohne Termin. Und versuche mir vorzustellen, ich sei hier fremd. Eine Person mit Migrationshintergrund vielleicht, welche die Sprache kaum versteht. Die Neuzuzüger-Mappe gebe es leider nur auf Deutsch, die Integrationsstelle in Herisau würde mir aber sicher weiterhelfen, sagt man mir.

Schleichwege

Allegro. Aufbruch zur zweiten Station Richtung Vögelinsegg. Ich schlendere über den Dorfplatz, biege ab Richtung «Hof Speicher» und widersetze mich in erhöhtem Gehtempo ein erstes Mal der von Google Maps vorgeschlagenen Route. Auf der Suche nach unbekannten Schleichwegen komme ich an einem kleinen Bouleplatz vorbei, überquere den Dorfbach über eine kleine, bisher unbekannte Brücke und lande hinter der Schreinerei Falk in einer Sackgasse. Über eine Abschrankung hinweg finde ich wieder zurück auf die vorgesehene Route und widme mich der Stimme des irakischen Schriftstellers Usama Al Shahmani, der mir erzählt, wie befremdet er anfangs ob der Schweizer Leidenschaft für das Wandern war und später selber zum passionierten Wanderer wurde.

Zwei Worte für Warten

Beim grossen Parkplatz werde ich aufgefordert, auf einer Sitzbank Platz zu nehmen. «Entschuldigen Sie, störe ich?», fragt mich eine Stimme, die mir bekannt vorkommt. Ach ja, der Schriftsteller von vorhin. In Gedanken nimmt Al Shahmani neben mir Platz. Im Irak gebe es Bänke nur an Busbahnhöfen, nicht in der freien Natur, weshalb er Sitzbänke vor allem mit Warten verbinde. Im Arabischen gebe es zwei Worte für Warten: «Intidhar» sei das Warten auf etwas Erreichbares, «Ra’a» das Warten, das man nicht beeinflussen könne, weil es in einer anderen Hand liege, beim Schicksal, bei Gott.

Duftkostproben

Largo. Ich warte nicht länger, mache mich wieder auf den Weg Richtung ehemaliges Waisenhaus. Auf dem Höhenweg erzählt mir die freischaffende Autorin Samira El-Maawi von ihrem Vater aus Sansibar, der am Wochenende oft den ganzen Tag koche, nicht mehr aus der Küche rauskomme. «Er schickt uns unter dem Küchentürspalt hindurch kleine Duftkostproben aus seiner Heimat in das Innere der Wohnung. Wir atmen sie ein und schweben auf den Düften davon, in die Heimat meines Vaters.» Hier in der Schweiz sei seine Küche sein Heimatland. Im Hintergrund höre ich eine Soundcollage aus Rüstgeräuschen, Pfannendeckeln und afrikanischen Klängen, die den Ausschnitt aus dem Buch «In der Heimat meines Vaters riecht die Erde wie der Himmel» untermalen.

Ein hohes Gefängnis

Meine Schritte verlangsamen sich stetig, beim kleinen Pärkli komme ich zum Stillstand. Inzwischen ist meine Wahrnehmung für Sitzbänke geschärft. Ich zähle sieben Bänke, auf dem einen nehme ich Platz und drücke nochmals die Playtaste, um Samira El-Maawi zuzuhören. «Meine Hautfarbe ist so mächtig wie ein hohes Gefängnis. Ich kann zwar mit dem Gefängnis herumlaufen, aber ich werde nie aus ihm ausbrechen können, und niemand kann mich befreien, nicht einmal Nelson Mandela. Wenn ich könnte, würde ich aus meiner Hautfarbe raussteigen, sie ausziehen und in den Altkleidersack stecken oder verkaufen. Aber wer will schon eine braune Hautfarbe tragen.»

Wurzeln schlagen

Die Geschichten von Samira El-Maawi, Usama Al Shahmani und Melinda Nadj Abonji bewegen mich. Ich stehe auf und hänge meinen Gedanken mit Blick auf den Bodensee nach. Und versuche nachzuvollziehen, was es heisst, hier zuhause zu sein und sich trotzdem fremd zu fühlen. Wie es sich anfühlt, wenn die eigenen Wurzeln im Herkunftsland ausgerissen und in der Schweiz wieder eingepflanzt werden, um hier weiterzuwachsen. «Wie lange geht es, bis sich eine Pflanze ganz verwurzelt?», fragt El-Maawi. «Das kommt auf die Pflanze an», antwortet die Mutter. «Und auf die Erde», ergänzt die Schwester.

Fremdheitserfahrungen

Mein Zuhause rückt in Sichtweite. Zeit für ein kleines Fazit. Eine knappe Stunde war ich unterwegs. Menschen bin ich wenigen begegnet. Herr und Frau Schweizer sind um diese Zeit bei der Arbeit, die Kinder in der Schule. 29 Sitzbänke, 5 Rasenmäher, 1 Swimmingpool und 1 Kuhtransporter habe ich gezählt, während ich den Geschichten zuhörte und in die eigenen Fremdheitserfahrungen geriet: Wann habe ich mich fremd gefühlt, nicht wohl in meiner Haut? Wann und wo hatte ich Heimweh? Was bedeutet für mich Heimat? Und wie kann ich Teil der Erde sein, in der sich Menschen aus anderen kulturellen Hintergründen verwurzeln können? Fragen, die mich noch eine Zeitlang beschäftigen werden.

KARIN BUCHER SZENOGRAFIE

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